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63rd IFLA General Conference - Conference Programme and Proceedings - August 31- September 5, 1997

Kinderliteratur in Dänemark. Trends und Tendenzen in den 90er Jahren.

Von Eva Glistrup


ABSTRACT

Nahezu die Hälfte der in Dänemark veröffentlichten Literatur ist für Kinder und Jugendliche gechrieben. Kinderliteratur ist demzufolge eine bedeutende Komponente in der literarischen Landschaft. Die, vor allem auf Forderung der vielen finanzkräftigen öffentlichen Bibliotheken und der Schulbibliotheken, in den letzten 30 Jahren zugänglich gemachte dänische Kinderliteratur zeigt auch im internationalen Vergleich eine interessante Entwicklung.

Ein subventioniertes Bibliothekssystem für Kinderliteratur, wie man es aus den anderen skandinavischen Ländern kennt, hat es in Dänemark nie gegeben. Sehr fortschrittlich zeigte sich die öffentliche Bibliotheksarbeit, indem sie eine umfassende Sammlung von Kinderliteratur als obligatorisch für jede öffentliche Bibliothek erklärte , und gesetzlich forderte, daß eine Schulbibliothek in jeder Grundschule vorhanden sein muß. Dieser Bestand an Kinderliteratur ist die Grundvoraussetzung für die Menge und das Fächerspektrum, um in einem solch eingeschränktem Sprachgebiet wettbewerbsfähig zu bleiben.

Über den Erfolg der Kinderliteratur im Bibliotheksangebot sahen zahlreiche dänische Autoren eine Chance, sich zu entwickeln und viele neue Leser zu erreichen.

Der Text zeigt einige Beispiele dänischer Schriftsteller unter folgenden Überschriften: Kunst – Erziehung
Kinderliteratur im Verbindung zur modernen Gesellschaft
Utopie
Der historische Roman. Eine aussagekräftige Gattung dänischer Kinderliteratur Abstammung
Kritische Perspektiven der zukünftigen Gesellschaft
Liebe – Fantasie - Realität - Schock,Horror - Boshaftigkeit - Gewissen

Neil Postman (Das Verschwinden der Kindheit, 1982) wurde nie ein Guru in Dänemark. Andererseits fallen in neuer dänischer Kinderliteratur zunehmend Begriffe wie „das erwachsene Kind“ und „der kindliche Erwachsene“.

Schauen wir etwa einer Ära ohne Kinderliteratur und Literatur für Jugendliche entgegen, einer in der es vielleicht nur „Literatur für alle“ geben wird? Es sieht fast danach aus!


PAPER

Kinderliteratur in öffentlichen Bibliotheken und Schulbibliotheken

Dänische Kinderliteratur ist sehr sensibel für Marktschwankungen. Ihre Stellung muß demzufolge stets in Abhängigkeit zu den vorherrschenden Trends und Strömungen in der Literatur der 90er Jahren gesehen werden. Die Faktoren, welche die Kinderliteratur in Dänemark innerhalb der vergangenen 30 Jahre entscheidend beeinflußt haben, zeigen auch im internationalen Gefüge eine interessante Entwicklung auf.

Öffentliche Bibliotheken und Schulbibiotheken sind innerhalb eines so begrenzten Sprachraumes, wie des dänischen, und angesichts der Konkurrrenz auf dem Markt wichtig als Anbieter von Kinderliteratur. Sichere und umfangreiche Subventionierung, wie man sie aus anderen skandinavischen Ländern kennt, hat es in Dänemark nie gegeben. 1965 wurde nach einem ökonomischen Boom ein Gesetz erlassen, nach dem in jeder Bibliothek, sei es eine Zentralbibliothek, eine Zweigbibliothek oder ein Bücherbus, eine vollständige Sammlung von Kinderliteratur vorhanden sein muß. Weiterhin sah das Gesetz die obligatorische Einrichtung einer Schulbibliothek innerhalb der Grundschulen vor.

Ein Ergebnis dieses Gesetzes, welches die örtlichen Behörden durch angemessene staatliche Unterstützung zu erfüllen vermochten, war ein enormer Anstieg der Nachfrage nach Kinderliteratur. Diese Nachfrage war jedoch schwer zu befriedigen. Weniger als 200 für Bibliothekszwecke geeignete Bücher wurden jährlich publiziert, die zudem die Alterklasse von 0 bis 16 Jahren abdeckten. Es war keineswegs ungewöhnlich für Kinderbibliothekare sich mit Bücherwürmern jeden Alters konfrontiert zu sehen, die von sich behaupten konnten, jedes Buch der Kinderbibliothek gelesen zu haben. Dieser Anspruch durfte nicht für bare Münze genommen werden, war jedoch aus der Sicht des betroffenen Kindes tatsächlich wahr: denn dieses Kind hatte jedes einzelne Buch, das seinem oder ihrem individuellen Geschmack und Entwicklungsstadium entsprach, bereits gelesen.

Dänische Kinderliteratur in Zahlen

Die Nachfrage der zahlreichen, finanziell gut ausgestatteten, öffentlichen Bibliotheken und der Schulbibliotheken erzeugte aus internationaler Sicht einen bemerkenswerten dänischen Markt für Kinderliteratur. Verlage begannen vermehrt Kinderliteratur in ihr Programm aufzunehmen. Die jährliche Summe der publizierten Titel stieg stetig an und überschritt 1979 erstmalig die Grenze von 1.000 Titeln. 1986 erreichte das Wachstum seinen Zenit mit 1.304 Titeln. Der Jahreswert heute liegt bei schätzungsweise 1.100 Titeln. Anders gesagt: Die Anzahl veröffentlichter Kinder -und Jugendliteratur von Mitte der 60er Jahre bis Ende 1980 ist höher als in den vorausgegangenen 400 Jahren.

1983 wurden die gesetzlichen Richtlinien der öffentlichen Bibliotheken dahingehend modifiziert, daß die direkte staatliche Unterstützung eingestellt wurde. In den 70er Jahren herrschte in Dänemark konjunkturelle Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit und Haushaltssperre – letztere führte zu einer Kürzung der Bibliotheksetats für Monographien-Erwerbung. Wie ist es also möglich, daß jährlich immer noch über 1.000 Kinder -und Jugendbücher veröffentlicht werden können? Auch die Vereinigung dänischer Kinderliteratur stellt sich diese Frage. Das Problem hierbei ist, daß die Bücher eine geringe Auflage und demzufolge einen hohen Einzelhandelspreis haben. Ein Teufelskreis: wenige Exemplare, hohe Preise, geringer privater Verkauf, schrumpfende Bibliotheksetats, weniger Bücher, aber erhöhte Preise. Eine Entwicklung, die natürlich zuerst das dänische Bilderbuch traf, das Pionierarbeit in Bezug auf visuelle Sprache und Inhalt leistete. Zudem ist diese Arbeit möglicherweise weniger interessant für die große Außenwelt, so daß auch eine Verlagskooperation als Alternative nicht in Frage kommt.

Das Endergebnis der 25jährigen Förderung der Kinderliteratur im Bibliothekswesen war, zahlreichen beliebten dänischen Autoren die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln und einen großen Leserkreis anzusprechen. Nahezu die Hälfte der in Dänemark publizierten Belletristik wird für Kinder und Jugendliche geschrieben. Kinderliteratur ist demzufolge ein bedeutender Bestandteil der literarischen Landschaft.

Dies kann man weder von der Erforschung der Kinderliteratur, noch von dem Willen der Redakteure von Zeitungen und Zeitschriften behaupten, diese Literatur zu analysieren und zu beurteilen. Die Situation hier läßt viel zu wünschen übrig. Dänemark hat zum Beispiel keine festgelegte Einrichtung für Kinderrliteratur, wie wir es aus vielen anderen Ländern kennen.

Kunst – Erziehung

In Europa gab es in der Kinderliteratur selbst und in den Diskussionen über dieses Thema immer einen Interessenskonflikt zwischen Kunst und Erziehung. In Dänemark wurde der erzieherische Aspekt der Kinderliteratur bevorzugt. Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde sogar von Lehrerliteratur gesprochen, die, da sie von Lehrern geschrieben und auf den Markt gebracht wurde, oft einen moralisierenden Unterton hatte. Das Bilderbuch der 30er Jahre hatte ein hohes künstlerisches Niveau, was die Bilder betraf, und einen erschreckend moralisierenden Text. Die 70er Jahre lieferten uns politisierende und politische Kinder- und Jugendliteratur. Seit den 80er Jahren setzt man steigende Erwartungen auf die künstlerische Qualität. Heute können wir erkennen, daß es einen Wandel von Instruktion zu Stil gab. Und dies hatte Folgen. Die Trennungslinie zwischen Kinder- und Erwachsenenliteratur ist nun fließender. Alte Definitionen über die Natur der Kinderliteratur und wie sie in Form und Inhalt präsentiert werden soll, scheinen aufzubrechen. Skepsis tauchte bezüglich früherer Richtlinien auf, die erforderten, daß man sich an das Alter des Lesers, das psychologische und intellektuelle Stadium seiner Entwicklung und an den Grad seiner Erfahrung anpasse und dies berücksichtige. “Vergeßt die Zielgruppen – und liefert den Kleinen eine gute Geschichte. Es macht nichts, wenn der Verfasser Worte benutzt, die zu lang sind, oder am äußeren Rand dessen liegen, was Kinder verstehen werden. Es ist in Ordnung, Kinder mit etwas zu provozieren, das sie nicht verstehen, oder etwas falsch verstehen. Ebenso stört es nicht, wenn ein Kinderbuch etwas enthält, was vielleicht nur für den erwachsenen Leser geeignet ist”, sagt der Autor Kim Fupz Aakeson. Der Schriftsteller Bjarne Reuter hat praktisch die gleiche Meinung vertreten und der Schriftsteller Louis Jensen sagt: “Mein persönliches Konzept bedeutet, daß es ganz in Ordnung ist, wenn es schwieriger wird. Es ist in Ordnung, wenn sich moderne und reflektierende Schichten im Text befinden. Aber, als Grundlage des Ganzen muß es eine Einfachheit geben. Was ich schaffen möchte ist genau diese Verbindung von Einfachheit und Vielschichtigkeit, die es jedem ermöglichen würde, die Geschichte zu lesen. Kinder und Erwachsene.”

Form hat eine neue Richtung eingeschlagen. Erzählstile sind modern und anspruchsvoller. Gleichzeitig mit dieser Entwicklung haben in den letzten paar Jahren Autoren von Erwachsenenromanen begonnen, Kinder und Jugendbücher zu veröffentlichen. Diese zwei Erscheinungen zusammengenommen, wurden bezeichnet als ‘erwachsen machen’ – keine besonders treffende Bezeichnung. Eine etwas vereinheitlichendere Charakterisierung dieser zwei neuen Arten von Kinder- und Jugendliteratur wäre Umberto Ecos Konzept des “offenen Textes”, welches eine Vielzahl interpretativer Möglichkeiten vorschlägt und so eine aktive Zusammenarbeit und gespannte Aufmerksamkeit des Lesers mit einschließt.

Das Gegenteil ist der Fall bei dem ‘geschlossenen Text’, welcher mit wenigen eingebauten Hinweisen zur Interpretation versucht, den Leser in eine bestimmte Richtung zu lenken. Das didaktische Kinderbuch kann, in Ecos Sinne, ein ‘geschlossener Text’ genannt werden. Stapel um Stapel solcher Bücher kann man in Dänemark finden, ebenso wie überall sonst. Obwohl es gute Gründe gibt, mit der hier beschriebenen Entwicklung von Kinder- und Jugndliteratur zufrieden zu sein, war sie nicht völlig ohne Nebenwirkungen, da vergleichsweise viele Kinder Schwierigkeiten haben, lesen zu lernen. Sie werden leicht abgeschreckt, wenn der Text zu schwierig und zu fordernd ist und man riskiert ernsthaft damit, daß Lesen von ihrer Aktivitäten-Liste gestrichen wird. Für diese Kinder ist ein großer Ertrag an passenden, unkomplizierten, qualitativ hochwertigen Kinderbüchern notwendig.

Kinderliteratur in Verbindung mit der modernen Gesellschaft

Heutzutage gibt es eine Fülle von Gattungen und Themen und wir sehen neue Wege und verschiedene Formen, wie Geschichten erzählt werden können. Man macht Experimente mit Ausdrucksformen, die Sprache wird entschärft, neue Verfahren der Illustration und Erzähltechniken werden aufgegriffen: Familie, die historische, psychologische, kulturelle Kritik, Liebe, Realismus, Fantasie, Sensation und Nervenkitzel – es ist alles da – in neuer Form. Über all dem stehen wieder einmal grundlegende Themen wie ‘Leben und Tod’ und ‘wer bin ich’ auf der Tagesordung der 90er Jahre, zu einer Zeit, in der Ethik und Moralverständnis die Hauptthemen der Diskussion sind.

Auch wenn Kinderliteratur begrenzt und isoliert erscheinen mag, so zeigt diese Entwicklung doch, daß sie sich aus dem gleichen Rohmaterials ernährt und die gleiche Luft atmet, wie jede andere Kunst auch.

Utopie

Silas ist eine sehr bekannte Figur aus einer dänischen Kinderbuchserie; er hat 4 Jahrzehnte überlebt und jedes Buch – 12 sind es insgesamt – ist charakteristisch für das Jahrzehnt, in dem es geschrieben wurde. 1967 segelte Silas ganz alleine den Fluß entlang. Silas und das schwarze Stutenfohlen (Silas og den sorte hoppe 1967). Das war das Jahrzehnt des Erwachsenwerdens. Der Junge hat seine Mutter und seinen Stiefvater verlassen und macht sich nun voll Selbstvertrauen auf seinen eigenen Weg. Uneinig mit den Erwachsenen macht er nichtsdestoweniger Gebrauch von ihren unsauberen Geschäften. Gerissen und ohne allzu viele moralische Skrupel erwirbt er das blaue Stutenfohlen; es folgt ihm alle 12 Bände hindurch. Silas ist ein anständiger Junge, der gegen die Ungerechtigkeit protestiert, die den Schwachen aufgebürdet wird. Ein Baby im Mülleimer oder ein Kind, um das sich niemand kümmern möchte, erweisen sich als Wendepunkt in seinem Leben. Er richtet eine Kollektive auf Mount Sebastian ein; Alte, Behinderte, Kinder und sogenannte sonderbare Menschen kommen, um dort zu leben. Die Idee der Kollektive war in den 70er Jahren stark vertreten. Ebenso war die Frauenbewegung in den 70er und 80er Jahren ein zentrales Element und Silas’ Freundin Melissa ist eine glänzende Vertreterin des unabhängigen Mädchens, das Wissen, Autorität und Freiheit möchte. Melissa hat einen gut ausgeprägten Geschäftssinn - ist sie so etwas wie ein Yuppie der 80er Jahre? Nein, aber die 90er Jahre zeigen ihr, daß sie jemand sein muß, der Verläßlichkeit und Sicherheit sucht - keine Experimente. Und nun müssen sich ihre Wege trennen. Silas und sein Freund machen sich auf den Weg, um sich neuen Abendteuern zu stellen. Eine Menge besonders interessanter, minderwertiger Charaktere füllen die Bücher und mitten unter ihnen befindet sich Silas - eine Person mit einer starken Identität, kombiniert mit der zeitgemäßen Ruhelosigkeit und der Jagt nach neuen Zielen. 1976 wurde dem Verfasser der Silas Bücher, Cecil Bødker , der prestigeträchtige internationale Hans-Christian-Andersen-Preis für Kinderliteratur verliehen.

Ökologie ist bedeutend in einem Leben, wie es die Bewohner von Mount Sebastian führen, Zeit und Ort sind der Phantasie anvertraut. Dies trifft ebenso auf Bodil Bredsdorffs Bücher über die Kinder von der Krähen-Bucht zu: Das Krähenküken, Eidi, Tink und Alek (Krageungen, Eidi, Tink and Alek 1992-95). Die Serie beginnt irgendwo in der Welt, irgendwann. Das Mädchen lebt hier mit ihrer Großmutter - ein verarmtes, hungriges Leben. Als die Großmutter stirbt, hinterläßt sie nichts außer einer Liste einfacher Grundsätze: traue deinem eigenen Instinkt, wenn es um die Frage geht, ob ein Mensch dir eher wohl gesonnen ist, oder ob er dir Schaden zufügen will; die Tür zu dem Herzen eines Menschen läßt sich nur von Innen öffnen.
Ebenso wie bei Silas wird nach und nach eine kleine Gemeinschaft im Verlauf der vier Bücher eingerichtet, deren Stärke im Wesentlichen durch die feinfühlige Beschreibung des Wechselspiels zwischen Natur, Klima, dem Wechsel der Jahreszeiten und dem täglichen Kampf, um den Hunger in Schach zu halten, gezeigt wird. Das ‘sofort’ ist von äußerster Wichtigkeit. Während Silas sich so entwickelt, daß sich das erste Buch an ein 10 jähriges Kind richtet und das letzte Buch eindeutig an Jugendliche adressiert ist, hat Bodil Bredsdorff die 10-12jährigen als zentrale Charaktere in ihren Büchern ausgewählt und somit auch die Zielgruppe festgesetzt. Wenn die Kinder älter werden, ändern sie die Lage und werden unterstützende Charaktere - weil, wie sie sagt:“ der Höhepunkt der Kindheit ist die Zeitspanne kurz vor ihrem Verschwinden.“ Die Utopie der 90er Jahre über das einfache Leben - den rechtschaffenen Menschen – wirkt etwas künstlich in Bezug auf moderne Überlegungen betreffend der Weltresourcen.

Der historische Roman. Eine kraftvolle Gattung in der dänischen Kinderliteratur.

Der historische Roman als Gattung war schon immer ein starker Bestandteil der dänischen Kinderliteratur. Seit ungefähr 1980 erlangte er erneuerte Aktualität, nachdem der Markt einige Zeit von zeitgenössischem sozialen Realismus dominiert wurde. Werden kritische, moderne Romane in Zeiten des Optimismus und des wirtschaftlichen Wohlstands geschrieben? Ist es verlockender, in Zeiten des Pessimismus und der wirtschaftlichen Rezession zurückzublicken? Vielleicht waren die ‘alten Tage’ wirklich gut? Der neueste Trend geht hin zu großer Komplexität im historischen Roman. Es ist nicht nur Licht auf die Vergangenheit gefallen, sondern die Gegenwart und die Zukunft werden auch mit Abstand betrachtet.

Peter Seebergs Trilogie, Ohne einen Namen (Uden et navn), Der schlafende Junge (Den sovende dreng) und Die Kälte hilft (Frosten hjoelper) (1986-89), versetzt den Leser 1.800 Jahre zurück in die römische Eisenzeit. Es ist die Geschichte über eine Zeit der Tubulenzen, der Differenzen zwischen Jägern und einer aufstrebenden Agrargemeinschaft. Die Hauptfigur ist einer der Jäger; am Anfang des Buches verläßt er sein Lager, um sich auf die lange Reise zum See der Kraniche zu machen, um dort drei rote Nackenfedern des Kranichs zu sammeln. Wie es immer Sitte bei seinen Leuten war, erhält er keinen Namen, ehe er nicht mit den drei Federn zurückkehrt. Als er nach Hause kommt, findet er sein Lager niedergebrannt vor. Die Bauern haben alle getötet - auch seine Eltern und seine Schwester. Aber er braucht einen Namen und so macht er sich - noch einmal zu Fuß – auf, zu einer neuen Forschungsreise, die ihn zu einem reichen Onkel, einem Händler in Paris, führt. Er bekommt die Möglichkeit angeboten, dort zu bleiben, aber er entscheidet sich dafür, seinen Vorfahren treu zu bleiben und kehrt deshalb mit einer jungen Frau, seiner Liebsten, die er von den Bauern stahl, zu seinem Lager zurück.

Die Bücher handeln von existenzieller Auswahl – Jäger, Bauern, Kaufleute in der Stadt – sie sind in einer Zeit der Aufruhr angesiedelt, die unserer eigenen Zeit in vieler Hinsicht ähnelt. Unser Held wählt das Vertraute, das zum Scheitern verurteilte, und der Verfasser argumentiert elegant, in einer kräftigen poetischen Sprache, für den Wert dieser Verbindung zwischen Kultur und der Natur und ihren Resourcen. Peter Seeberg, der ein hoch angesehener Verfasser von Erwachsenenliteratur ist, erhielt 1991 den österreichischen Kinderliteratur-Preis für diese Serie.

Bent Haller hat seit seinem Debut 1975 eine große Masse bester Qualitätsarbeit in vielen Gattungen produziert. Die Geschichte von Brage, dem Königssohn (Brage Kongesøns Saga) , veröffentlicht 1933, ist eine, in jedem Sinne des Wortes, wichtige und sehr komplexe Geschichte. Sie handelt von den historischen Wurzeln der Dänen, religiösen Ideen und Legenden. Sie erzählt wie diese – über die Runen – in Worte und Bilder übersetzt werden und so die Bausteine in der Geschichte sind, die den Menschen eine gemeinsame Identität geben und sie vor einem Schicksal bewahren, das schlimmer ist, als der Tod: Ignoranz.

Brages Erzählung is die Geschichte eines Volkes am Wendepunkt zwischen den alten und den neuen Wegen,Sitten und Göttern; ein Volk,das aufgrund von Klimaveränderungen und Überschwemmung sein Land, die Sonnenscheibe und heilige Opferkisten zurückläßt.

Es ist die Geschichte der großen Expedition durch Europa, die von den Cimbrians und Teutonen durchgeführt wurde und von ihren blutigen Gefechten mit der römischen Armee.

Es geht auch um die Kunst des Geschichtenerzählens. Brage ist der Königssohn, welcher in Rom den Erzähler aller Erzähler, Homer, trifft und später selbst als Gott der Dichtkunst in seine Heimat zurückkehrt. Das ganze Buch hindurch hat Brage einen Gegenspieler: die ‘alte Frau aus dem Wald’, eine interessante, urbildliche Hexe. Sie repräsentiert die matriarchalische Kraft mit ihrem Wissen und ihrer Phrophezeihungsgabe,welche von dem neuen göttlichen Gesetz und der symbolischen Ordnung, die Brage im Norden einführt, verdrängt werden muß.

Abstammung

Abstammung und das Bedürfnis, die eigenen Wurzeln zu finden, sind die Themen des Buches eines anderen bedeutenden dänischen Schriftstellers, Gerd Rindels Spur in Russland (Et spor i Rusland) . Wenn sich Gerd Rindel, eine Kennerin vieler Genres, historischen Materials bedient, präsentiert sie immer ein klares Manifest: sie stellt besonders die Ungleichheit und die Verfolgung all jener, deren Wahl es war, von der Norm abzuweichen, heraus. Zu diesem Buch wurde sie während einer Reise mit der Trans-Sibirischen -Eisenbahn inspiriert, die sie im Sommer 1990 unternommen hatte.

Jelena - oder Jelena die Dritte (ihre Mutter und Großmutter hießen auch Jelena) - hat jeden Augenblick ihres 14-jährigen Lebens zu Hause auf dem Gut ihrer Großeltern in Dänemark verbracht. Nur aus den Erzählungen des Dienstmädchens kennt sie die Außenwelt, hat sie von Boutiquen und Imbiß-Restaurants gehört. Ihre Familie stammt von edlen russischen Vorfahren ab, die nach der Oktober-Revolution 1917 gezwungen waren, zu fliehen. Ihre Großeltern leben in einem anderen Zeitabschnitt, in einer anderen Welt. Jelena hat ihre Mutter nie kennengelernt, aber sie findet einen in einer Statue versteckten Liebesbrief und erfährt daraus, daß ihre Mutter nach ihrer Geburt in die Sovjetunion geflüchtet ist. Als ihre Großeltern sterben, entschließt sich Jelena dazu, ihre Mutter ausfindig zu machen. Dies erweist sich auch als Reise in die Vergangenheit.

Und sie findet sie, aber ihre Mutter weigert sich, die Mutterrolle anzunehmen - und Jelena muß akzeptieren, daß sie daran nichts ändern kann. Neben der Tatsache, daß dieses Buch zutiefst faszinierend und originell ist, mit einem schillernden Sprachgebrauch und raffinierter Psychologie, erfordert es auch Engagement seitens des Lesers.

Kritische Perspektiven der zukünftigen Zivilisation

Auf viele Arten sind die Kenntnisse von Utopie, der Vergangenheit und de Abstammung alle sehr eng verbunden mit einer Vision der Zukunft.

Die Zeit nach 1970 kann als das goldene Zeitalter der Science Fiction Erzählung angesehen werden - ein Trend, der während der 80er Jahre begann, seinen Einfluß auf dänische Kinderliteratur auszuüben. Wie wir wissen, gibt es mindestens zwei Richtungen, die diese Gattung einschlagen kann: die optimistische, techno-enthusiastische, oder die pessimistische, die eine verarmte, verschmutzte Welt beschreibt, die vielleicht unter einem totalitären Regime steht. In Dänemark war die letztere stärker vertreten. Zahlreiche dänische Verfasser leisteten ihren Beitrag mit dieser Art von Erzählung.

Zwei Publikationen, Svend Åge Madsens Menschenjagt (Jagten pa et menneske 1991) und Kim Fupz Aakesons Der Irre (De gale 1992), haben der Gattung eine große Menge Originalität und eine Prise Optimismus zugefügt. In Dänemark hatten wir nun schon seit einigen Jahren das, was in der Sprache des politischen Beamtentums Jugendarbeitslosigkeit genannt wird. Dies ist natürlich ein Thema, über das kühle sozial-realistische Bücher geschrieben werden könnten, aber Svend Åge Madsen, sonst eigentlich ein Verfasser von Belletristik für Erwachsene, hat seine eigene, ganz einzigartige Annäherung gewählt, indem er ständig von dem Raum, der vom Traum belegt ist zu dem Raum, den die Realität besetzt hält, wechselt. Die Geschichte entfaltet sich entlang zweier ausgeglichener Linien, die die 6 Kapitel in 12 aufteilen, welche miteinander in Verbindung stehen wie Realität und Alptraum. Der junge Asser stellt die Hauptfigur in beiden Welten dar und wird in seltsame Vorgänge verstrickt, die sich seltsamerweise widerspiegeln. In einem System sieht man in der Arbeitslosigkeit eine Möglichkeit, sich Kreativität und Lebensfreude leisten zu können. In dem anderen System sind junge Menschen vollständig mit dem Versuch beschäftigt, nicht ums Leben zu kommen, da jeder Tag von 9 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags dazu erklärt wurde, unerbittlich Jagd auf Arbeitslose zu machen. Svend Åge Madsen wurde zu dieser besonderen Art Blutsport durch Jonathan Swifts Schriftstück Ein bescheidener Vorschlag (1729) inspiriert, in welchem Swift vorschlug, die Probleme der Hungersnot und Überbevölkerung in Irland könnten durch Einführung von Kinderkannibalismus gelöst werden.

Die Geschichte in Kim Fupz Aakesons Jugendroman Der Irre (De gale) beginnt im Jahre 2010, in einer Zeit, in der Bio-Technologie alles überwuchert. Aus heiterem Himmel bricht eine Krankheit aus, die dazu führt, daß all jene, die älter als 25 sind, ihre Erinnerung und ihre Fähigkeit zu sozialem Verhalten verlieren. Die Erwachsenen sind verrückt und so übernehmen die Jugendlichen die Macht. Und was passiert, wenn der Traum von der Macht für die Jugendlichen plötzlich die einzige Überlebenschanche bietet und wie werden die Menschen auf die Bedrohung durch Chaos und Vernichtung reagieren? Der Schreibstil ist filmisch und es wirkt befreiend, daß der Verfasser es unterläßt, Lösungen aus den politischen, neo-religiösen, geheimnisvollen und mythologischen Randgruppen zu finden. Dieses Buch ist ein Vertreter des neuen Trends in der Nordischen Kinder- und Jugendliteratur: das Bestreben, eine Gesellschaft mit Hilfe einer Realität darzustellen, eine Realität die hier und jetzt und gerade um die Ecke ist. Und welche sie, in gewisser Weise, von unverhohlener Anweisung befreit und lieber den gesunden Menschenverstand und die Freude des Lesers am geschriebenen Wort für sich gewinnt. Dieses Buch war der dänische Gewinner eines wichtigen skandinavischen Belletristik-Wettbewerbs.

Liebe – Phantasie – Realität – Horror – Boshaftigkeit – Gewissen

Die Magische Stadt (Den fortryllede by 1994) beginnt wie ein Märchen: “Zuerst wohnte ich in einer völlig gewöhnlichen Stadt mit gewöhnlichen Häusern und gewöhnlichen Katzen und Hunden und Menschen, mit Ausnahme von Marie. Sie war nicht gewöhnlich. Später lebte ich in einer magischen Stadt, in einer Kirche, in einem altmodischen, lederbezogenen Hochstuhl.” Eines Morgens liegt ein gigantisches Herz am Ufer des Fjords. Man kann durch eine Tür hineingehen, und genau das tut der Junge, der diese phantastische Geschichte erzählt. In den Zimmern des Herzes trifft er auf die verschiedenen Komponenten einer mechanischen Person. Er setzt alle Teile zusammen, zieht sie auf und folgt der Figur aus dem Herz hinaus und in die Stadt hinein. Und da beginnt die Magie: Vögel und Tiere werden zu Porzellanfiguren. Alle Menschen verschwinden und der Junge bleibt alleine zurück. Zu Beginn macht alles riesigen Spaß, aber das Vergnügen ist kurzlebig und wird regelrecht zu einem Alptraum. Der Junge ist kurz davor, seine Einsamkeit und seine eigene Gesellschaft nicht länger ertragen zu können. Mitten in seiner Verzweiflung findet er jedoch etwas Trost in der Kirche, in der er nun lebt. Er schaut die Gebetbücher durch und stößt auf viele kluge Worte. Wer ist verantwortlich für alle diese Qualen? Zuerst beschuldigt der Junge die mechanische Person und ein gewalttätiger Kampf um Leben und Tod beginnt. Er beginnt allmählich mit einem langwierigen Prozeß der Selbstbeobachtung währendderen er in sich und sein bisheriges Leben hineinsieht. Genau diese intensive Beschäftigung mit dem Bizarren, dem beinahe Makabren, gewürzt mit einem ansteckenden, liebevollen Humor, der voll Streiche und kindischem Gehabe ist, hat Louis Jensen zu einem führenden Autor für Kinder und Jugendliche in Dänemark gemacht. Alle seine Bücher haben dieses charakteristische Merkmal. Sie sind wie zu Papier gebrachte Träume, die den Leser durch das Gehirn in seine entferntesten Winkel führt, wo nicht organisierbare Konzepte, wie Leben, Tod, Liebe und Bösartigkeit greifbar gemacht und konkretisiert werden. Dies alles in einer Sprache mit solch einer Eleganz, die an Cecil Bødker erinnert.

Bösartigkeit findet man auch in dem Werk eines anderen interessanten Autors: Peter Mouritzen . Und Terror. Todespuppe (Dodningedukken 1993) beginnt so: ‘Ein dotes Mädchen saß im Klassenzimmer.’ Die Hauptfigur ist ein Autor, der eine Schulklasse beobachtet. Als er den Schülern erzählt, daß er nicht an außerirdische Erscheinungen glaubt, passieren unerklärliche Dinge, die ihm das Blut in den Adern gerinnen lassen und über die er keine Kontrolle hat. Er ist ständig unsicher darüber, was Tatsache und was Einbildung ist. Das Mädchen im Buch fragt mehrere Male – wozu braucht man einen Autor? Peter Mouritzon ist dieser besonderen Frage selbst in einem Artikel nachgegangen: ‘…das Object der menschlichen Existenz ist Dichtung. Sie definiert unsere Identität als Menschen.’ Peter Mouritzen hat die anspruchsvolle Horrorgeschichte zu seiner Spezialität gemacht. ‘Ich denke, man muß schaudern und ich bin davon überzeugt, daß Kinder, die Grusel und Horror aus Kino und aus Büchern kennenlernen, ein unbewußtes Ritual aufführen, das dazu bestimmt ist, ein völlig dimensionales Ich zu entwickeln, inclusive einer sogenannten ungeheuerlichen Erfahrung.’

1982 veröffentlichte der amerikanische Medienforscher Neil Postman Das Verschwinden der Kindheit . Er skizzierte eine Entwicklung, in der Fernsehen auf Kosten des Lesens dominierte. Als Gutenberg die beweglichen Lettern erfand, errichtete er ein Universum für Kinder und ein Universum für Erwachsene. Erwachsene konnten Geheimnisse haben, zu denen Kinder kein Zugang hatten. Der Einzug des Fernsehens in unsere Wohnzimmer hat dieses Verhältnis über die Erkenntnis hinaus verändert. Shows, Ratesendungen, aber auch ‘Aufdeckungen’ aus der Intimsphäre der Erwachsenen haben die Kindheit umgestaltet und wir erleben nun immer mehr ‘das erwachsene Kind’ und ‘den kindischen Erwachsenen’. Neil Postman wurde nie ein Guru in Dänemark. Andererseits, und das schon seit längerer Zeit, war es offensichtlich in einer Folge von Kinderbüchern, daß Erwachsene von ihrem Sockel gestoßen werden; sie verhalten sich kindisch und oft verantwortungslos. Gleichzeitig sehen wir selbstverständlich Kinder, die sehr tolerant sind und die Verantwortung der Erwachsenen übernehmen. Weder sind sie, noch werden sie erwachsen in ihrem Verhalten – bloß verantwortungsbewußt und aufrichtig.

Der Juwel dieser bestimmten Krone wurde 1996 mit Dorte Karrrebæks Das Mädchen, das viele Dinge konnte (Pigen der var go’til mange ting) an die richtige Stelle gesetzt. Dieses Buch brachte der Verfasserin den Preis für Kinderliteratur des Kultusministeriums ein, obwohl es sich um ein Bilderbuch mit sehr wenig Text handelt. Aber was für ein Text! Worte, die jeden Erwachsenen erschauern lassen – und hoffen. Das Mädchen ist ein Einzelkind, deshalb hat sie niemanden, der ihr hilft, sie ist völlig mit praktischer Arbeit beschäftigt. Aber sie schafft es nicht, in die Schule zu kommen. Ihre Eltern schlagen sich irgendwie durch und das Mädchen wundert sich darüber, wo sie gelernt haben, solch eine Unordung zu machen. Die Begabung der Eltern liegt darin, die ganze Nacht wach zu bleiben und tagsüber zu schlafen. Eines Tages organisiert das Mädchen eine Party, bei der man sich verkleidet: ihr Vater verkleidet sich als Hund, ihre Mutter als Katze und das Mädchen verkleidet sich als Mädchen. Die Party ist ein großer Erfolg, aber am nächsten Morgen sitzen die Masken fest. Das war die einzige Veränderung, die die Party bewirkt hat. Daraufhin weiß das Mädchen, daß alles zu spät ist und es keine Möglichkeit gibt, einen Hund oder eine Katze zu verändern. So beschließt sie also, ihre Kindheit zu vergessen und schnellstmöglich erwachsen zu werden. Und so verläßt sie ihr zuhause. Das Buch hat folgende Schlußworte: ‘Alle Kinder verlassen früher oder später ihr zuhause. Das Mädchen verließ es früher.’

Eine kompromißlose Geschichte über den Stil der Zeit, aber ohne das Kind in die Rolle des ‘Opfers’ zu drängen. Als die letzte Seite umgedreht und das Buch zugeklappt wurde, bemerkte ein 6-Jähriger lakonisch: ‘Das war schön und etwas zu kurz, aber natürlich mußte das Mädchen ihr zuhause verlassen, damit dies das Ende der Geschichte ist.’

Kinderliteratur in Dänemark. Ehrlich und kompromißlos. Humorvoll und gut geschrieben. Den Finger am Puls der Zeit. Bewegen wir uns auf eine neue Ära zu, in der es keine spezielle Kinder- und Jugendliteratur gibt, sondern eine ‘Literatur für alle’? Es scheint so!