IFLANET home - International Federation of Library Associations and InstitutionsAnnual ConferenceSearchContacts

63rd IFLA General Conference - Conference Programme and Proceedings - August 31- September 5, 1997

Die Notwendigkeit des freien Zugangs zu Informationen für Parlamente: mögliche Hindernisse und praktische Lösungen

Rob Brian,
Parlamentsbibliothekar,
Parlament des Staates New South Wales,
Australien


ABSTRACT

Gesetzgeber benötigen freien und leichten Zugang zu relevanten, genauen, rechtzeitigen und unvoreingenommenen Informationen, wenn sie die schwierigen Aufgaben bewältigen sollen, für die sie gewählt worden sind. Dabei ist das Haupthindernis ein Mangel an angemessener Finanzierung. Diese wird benötigt, um hochqualifizierte und kompetente Mitarbeiter zu gewinnen - sowohl Bibliothekare als auch Forscher - und relevante Bibliotheksmaterialien zu kaufen. Parlamente können Regeln für eine Pflichtabgabe von Materialien aufstellen, die aufgrund der Gesetzgebung des Parlaments veröffentlicht werden. Parlamente können auch Gesetze erlassen, mit denen Parlamentsabgeordneten für die Ausübung ihrer parlamentarischen Pflichten bestimmte Kopierrechte eingeräumt werden. Schließlich stellt das Internet eine schnelle und wachsende Ressource für relevante Informationen dar, die kostenlos zugänglich ist.


PAPER

In modernen, demokratischen Gesellschaften repräsentiert das Parlament den Willen des Volkes. Das ist wenigstens das Ideal. Man kann unendlich darüber debattieren, in welchem Umfang dieses Ideal tatsächlich erreicht wird. Wir alle kennen Parlamente, die dem Anschein nach demokratisch gewählt sind, in Wirklichkeit jedoch wenig mehr als Diktaturen darstellen. Und natürlich gibt es Staaten, in denen die Ergebnisse demokratischer Wahlen einfach ignoriert werden und der gewählte Führer unter Hausarrest gestellt wird. In diesen Staaten wird nichts von dem, was ich im folgenden sagen werde, irgendeine Bedeutung haben. In diesem Referat werde ich mich vielmehr mit solchen Parlamenten beschäftigen, die in einem demokratischen Prozeß gewählt worden sind und wo alle Abgeordneten, gleich ob sie die Regierung bilden oder der Opposition angehören, wirklich alle ihre Wähler repräsentieren.

Newt Gingrich, der Sprecher des Repräsentantenhauses im amerikanischen Kongreß, hat geschrieben: „In post-industrieller Zeit beginnt die Aufgabe des Gesetzgebers sich zu verändern. War er früher binnenorientiert und hatte die Lösung persönlicher Probleme von Wählern zum Ziel, wird er nun zunehmend zu einem studentischen Lehrer, der arbeitet und zugleich erzieht, um die Probleme der Nation zu lösen. Der moderne Gesetzgeber muß sich um seine Wähler kümmern, ansonsten ist es unwahrscheinlich, daß er wiedergewählt wird. Aber die Wähler erwarten von ihren Repräsentanten auch, daß sie die Probleme der Nation, ja der Welt lösen." Der amerikanische Ökonom und Experte für internationale Entwicklung John Korten hat bemerkt: „Die Völker machen weltweit die Erfahrung, daß das Überleben der Demokratie von massiven Veränderungen in den Haltungen westlicher Gesellschaften im Hinblick auf die angemessenen Rechte, die Privilegien und die Befugnisse von Korporationen abhängen kann. Und dazu ist Zugang zu Informationen erforderlich. Ohne schnellen Zugang zu genauen und zuverlässigen Informationen ist der Gesetzgeber eine - wie wir in umgangssprachlichem Englisch sagen - lahme Ente, d. h. er ist bei der Ausführung der Aufgaben, für die er gewählt wurde, ernsthaft beeinträchtigt."

Das Parlament benötigt Zugang zu Informationen, um öffentliche Unterstützung zu erzeugen und zu erhalten, denn wenn die Menschen erst einmal das Vertrauen in die parlamentarische Einrichtung verlieren, ist der Weg für eine Revolution und/ oder Anarchie bereitet. Abhängig von der Politik im Hinblick auf das Privatleben und die Sicherheit, verfolgt das Parlament eine Anzahl von Zielen, einschließlich der Entwicklung und Verbreitung von Informationen, wodurch es Unterstützung für das politische System aufbaut, Dienstleistungen für alle Wähler bereitstellt und politische Entscheidungen in Gesetze umsetzt.

Die Probleme, vor die sich die moderne Gesetzgebung gestellt sieht, sind vielfältig und komplex. Oft sind es gerade die Probleme, die für den privaten Sektor zu schwierig sind, die dem Parlament überantwortet werden. Ohne schnellen Zugang zu relevanten Informationen können Abgeordnete nicht hoffen, mit den schnellen Veränderungen mitzuhalten, denen unsere Gesellschaften unterworfen sind, und sie werden nicht in der Lage sein, die richtigen Entscheidungen zu fällen. Daher ist es keine Überraschung, daß die meisten modernen Parlamente einen beträchtlichen Teil ihrer Etats für parlamentarische Informations- und Forschungsdienstleistungen verwenden. Diejenigen Parlamente, die das nicht tun, sind erheblich im Nachteil.

Das Haupthindernis für den Zugang eines Parlaments zu Informationen ist ein Mangel an angemessenen Ressourcen. Ohne angemessene Finanzierung ist es nicht möglich, qualifizierte Bibliothekare und Forscher zu gewinnen, die die notwendigen Untersuchungen übernehmen, die wiederum den Abgeordneten relevante, genaue, rechtzeitige und unvoreingenommene Informationen liefern. Ein demokratisch gewähltes Parlament verdient die bestmöglichen Mitarbeiter, weil das Volk die bestmögliche parlamentarische Regierung verdient. Es mag notwendig sein, etwas höhere Gehälter als üblich anzubieten, um hochqualifizierte und engagierte Mitarbeiter zu gewinnen. Ebenso mag es notwendig sein, fortlaufend Gelegenheit zu Schulungen und Weiterbildung zu geben. In meinem eigenen Parlament ermutigen wir beispielsweise unsere Forscher, die bereits einen oder mehrere relevante akademische Grade besitzen, höhere Grade anzustreben. Die Bibliothek bezahlt jedesmal ihre Kursgebühren für Magistergrade, wenn ein Spezialgebiet mit Erfolg abgeschlossen wurde, vorausgesetzt natürlich, der höhere Grad ist für die Forschungsbedürfnisse des Parlaments relevant. So strebt unser Umweltexperte einen Magistergrad in Umweltrecht an. Unser leitender Forscher, der in Politikwissenschaft promoviert hat, hat gerade den juristischen Baccalaureus mit Auszeichnung bestanden. Wir zweifeln nicht daran, daß dieses Geld gut eingesetzt ist. Die Projekte, die diese Leute für ihren Kurs übernehmen, führen unweigerlich zu einem relevanten Informations- oder Hintergrundreferat für das Parlament. Beide Seiten profitieren davon.

Wir ermutigen unsere hauptamtlichen Mitarbeiter auch, an relevanten Fort- und Weiterbildungskursen und an Konferenzen teilzunehmen, so daß sie in ihrem Spezialgebiet auf dem neuesten Stand der Entwicklung bleiben. Wir versuchen, für unsere Mitarbeiter einen jährlichen Fort- und Weiterbildungsetat von $ 25.000 zu erhalten, bei einer Gesamtzuweisung von etwa $ 2,2 Millionen. Wenn andere Berufsgruppen solche Kurse oder Konferenzen im Parlamentsgebäude abhalten, versuchen wir, uns einige freie Plätze zu sichern.

Unabhängig davon, wie hochqualifiziert Mitarbeiter sein mögen, benötigen sie natürlich Zugang zu einer Vielzahl relevanter Informationen, sei es im Hause oder anderswo. Dabei wird es sowohl von der Größe der Zuweisung für den Kauf von Bibliotheksmaterialien abhängen als auch von dem Geschick derjenigen, die diese Materialien auswählen, wie gut die hausinterne Sammlung sein wird. Parlamente können allerdings mit einigen einfachen Maßnahmen dafür sorgen, daß die Versorgung mit den meistbenötigten Informationen sichergestellt ist.

So können Parlamente eine Pflichtabgaberegelung erlassen. In New South Wales hat das Parlament dies im Jahr 1952 getan, als das Urheberrechtsgesetz von 1879 ergänzt wurde. In seiner Rede anläßlich der zweiten Lesung hat der dafür zuständige Minister festgestellt: „Das Ziel dieser Gesetzesvorlage besteht darin, daß ein Exemplar eines jeden Buches, das zuerst in New South Wales veröffentlicht wird, von dem Verleger innerhalb von zwei Monaten nach dem Erscheinungstermin kostenlos der Parlamentsbibliothek von New South Wales ... geliefert wird." Ähnliche Bestimmungen gab es in Queensland und in South Australia, obwohl sie dort Bestandteil der Bibliotheksgesetzgebung und nicht von Urheberrechtsgesetzen sind. Der Minister fuhr fort: „Die Kosten, die den Verlegern durch das Einhalten dieser Bestimmungen entstehen, werden nicht hoch sein, während die Vorteile, die der Parlamentsbibliothek daraus erwachsen, den ehrenwerten Abgeordneten bewußt sein werden." Die Rechtfertigung dieser Pflichtabgaberegelung bestand in der Notwendigkeit eines schnellen Zugangs zu lokalen Veröffentlichungen für die Parlamentsabgeordneten, um Anfragen von Wählern aus einem breiten Themenbereich beantworten zu können und um, wie man annimmt, eine wohlinformierte Parlamentsdebatte zu unterstützen. Wie ein Sprecher meinte: „Die Parlamentsbibliothek wurde gegründet, damit die Repräsentanten des Volkes in allen Angelegenheiten, die ihre Wähler betreffen, wohlinformiert sein könnten. Offensichtlich folgt daraus ..., daß die ehrenwerten Abgeordneten jederzeit schnellen Zugang zu allen Informationen haben sollten, die in gedruckter Form zur Verfügung stehen." In New South Wales haben wir insofern Glück gehabe, als die meisten Bücher, die in Australien veröffentlicht werden, tatsächlich in Sydney veröffentlicht werden. Folglich erhalten wir den größten Teil unserer Sammlung australischer Juridica kostenlos.

Eine Schwäche in der Gesetzgebung ist die Erwähnung von 'gedrucktem' Material in seiner engen physischen Bedeutung als dem einzigen Informationsträger. Offensichtlich ist dies inzwischen ein haarsträubender Anachronismus. Die Definition von 'Buch' in der Gesetzgebung würde Ton- und Bildaufnahmen sowie elektronische Informationsprodukte wie Mikroformen, Computerdisketten und CD-ROMs ausschließen, einschließlich von audiovisuellen bzw. Multimediaprodukten und Onlinedatenbanken. Andere australische Staaten wie Tasmania, Victoria, Queensland und South Australia haben versucht, die Definition von 'Veröffentlichung' dahingehend zu erweitern, daß sie Mikroformen, audiovisuelles Material und CD-ROMs einbezieht. Es ist jedoch zweifelhaft, ob ein Gericht akzeptiert, daß irgendeine dieser Definitionen Informationen einschließt, die in Onlinedatenbanken veröffentlicht werden. Trotz dieser Schwierigkeiten, eine umfassende Pflichtabgaberegelung zu formulieren, handelt es sich um eine nützliche Art und Weise sicherzustellen, daß das Parlament zu wichtigen Informationen freien Zugang hat.

Das Urheberrecht kann ein wichtiges Hindernis für den freien Zugang zu relevanten Informationen für Abgeordnete darstellen. In Australien haben wir insofern Glück, als das Urheberrechtsgesetz von 1968 für die Bedürfnisse von Parlamentariern besondere Vorsorge trifft. Die Abschnitte 48 A und 104 A sprechen Parlamentsbibliotheken von einem Gesetzesverstoß frei, wenn sie Kopien für die Abgeordneten ihres Parlaments erstellen.

Ein Parlamentsbibliothekar kann jemanden autorisieren, im Auftrag der Parlamentsbibliothek Kopien für den Gebrauch eines Abgeordneten zu erstellen. Ich habe dies kürzlich getan, um es Mitarbeitern der Kommission für ethnische Angelegenheiten in New South Wales zu ermöglichen, Kopien von übersetzten Zusammenfassungen relevanter Zeitungsartikel in der Presse der fremdsprachigen Minderheiten zu erstellen, damit Abgeordnete erkennen können, welche politischen Themen die nicht-englischsprachigen Bevölkerungsgruppen interessieren.

Der Ausschuß zur Überprüfung des Urheberrechts versucht gegenwärtig, das ziemlich komplizierte Urheberrecht zu vereinfachen. Parlamentsbibliothekare haben dem Ausschuß vorgeschlagen, daß diese Regelungen für Parlamentsbibliotheken nicht nur beibehalten, sondern daß sie auch auf das elektronische Kopieren ausgeweitet werden sollten. Niemand scheint vorgeschlagen zu haben, daß diese Sonderregelungen für Abgeordnete beseitigt werden sollten. Mir scheint, daß jedes Land ähnliche Regelungen in sein Urheberrecht aufnehmen könnte, um Abgeordneten den freien und leichten Zugang zu den erforderlichen Informationen zu ermöglichen.

Schließlich steht mit dem Internet eine riesige Ressource für freie Informationen zur Verfügung. Das einzige Hindernis dabei besteht in dem möglichen Fehlen eines PCs mit Drucker, Modem, Telefonanschluß und eines Anbieters von Internetdiensten. Wenn man die Finanzierung dieser einfachen Voraussetzungen sicherstellen kann, die zwischen $ 5.000 und $ 10.000 kosten, ist der schnelle und freie Zugang zu einer riesigen Menge an nützlichen und relevanten Informationen möglich. In den USA sind alle offiziell veröffentlichten Informationen allgemein zugänglich, was bedeutet, daß sie frei kopiert, wiederveröffentlicht usw. werden dürfen. In Australien gibt es etwas, das 'Urheberrecht der Krone' genannt wird, was bedeutet, daß die Regierung das Urheberrecht für offiziell veröffentlichte Informationen behält. Regierungen sind jedoch zunehmend bereit, auf ihr Urheberrecht zu verzichten. In New South Wales dürfen Gesetzgebung und juristische Gutachten oder Gerichtsurteile frei kopiert und reproduziert werden. Diese sind nun über das Internet zugänglich. Viele Gesetzgeber haben das Gleiche getan.

Eine gute Stelle, um die Suche nach Informationen zu beginnen, die für Parlamente relevant sind, ist die Internetseite der Sektion [i. e. Bibliotheks- und Forschungsdienste für Parlamente, Einf. d. Übers.] unter , die von Nick Bannenberg, dem Parlamentsbibliothekar des Parlaments von Queensland, betreut wird. Die Seite stellt viele nützliche Verbindungen zu anderen Informationsquellen zur Verfügung, wie die Internetseite der Parlamentsbibliothek von New South Wales unter . Jeder erfahrene Benutzer hat zweifellos eine solche Adresse, von der aus er seine Suche am liebsten startet. Auf unserer Internetseite stellen wir die folgenden Verbindungen zur Verfügung:

Verbindungen zu Internet-Ressourcen, die von der Bibliothek benutzt werden, angeordnet nach Kategorien

Die Verbindungen von dieser Seite aus führen weltweit zu rechtlichen, politischen, parlamentarischen und anderen Informationen. Und selbstverständlich ist es uns allen besonders wichtig, unsere verschiedenen Gesetzgeber davon zu überzeugen, daß sie ihre Veröffentlichungen kostenlos im Internet zur Verfügung stellen sollten, damit wir alle die Gelegenheit zu einem gebührenfreien Zugang zu diesen Materialien haben. Einige Parlamente glauben, daß sie einen schönen Gewinn dadurch erzielen können, daß sie für den Zugang zu ihren Materialien im Internet Gebühren erheben. Meiner Meinung nach ist das ziemlich kurzsichtig. Die Kosten für die Veröffentlichung der Materialien im Internet sind geringfügig im Vergleich mit den Kosten von Papier, Drucken, Binden, Porto, Erstellen von Rechnungen und so weiter. Durch die Veröffentlichung im Internet werden Parlamente und Regierungen also beträchtliche Summen sparen. Da die Materialien auf Kosten der Steuerzahler hergestellt werden, sollte es nicht notwendig sein, diese Steuerzahler noch einmal für den Zugang zu diesen Materialien zur Kasse zu bitten.

Auf der anderen Seite sollten natürlich alle Bürger die Gelegenheit eines Zugangs zu diesen Materialien haben. In Australien werden die meisten Politiker Zugang zum Internet haben. Regierungen stellen den Zugang zu Computern und dem Internet auch Schulen und öffentlichen Bibliotheken zur Verfügung. Wohlinformierte Wähler wählen wahrscheinlich eher eine gute Regierung. Wohlinformierte Gesetzgeber erlassen wahrscheinlich eher vernünftige Gesetze. Es gibt Hindernisse, gegen die ein freier Zugang zu Informationen sichergestellt werden muß, aber diese Hindernisse sind nicht unüberwindbar. Als Parlamentsbibliothekare haben wir eine Pflicht, ja einen Auftrag, uns für eine Gesellschaft einzusetzen, in der alle, Bürger und ihre gewählten Repräsentanten, einen schnellen und freien Zugang zu relevanten, genauen, rechtzeitigen und unvoreingenommenen Informationen haben.


Übertragung ins Deutsche von Martina Jantz